Es sind die ganz großen Emotionen, die den Zuschauer bei „Miss Saigon“ mitten ins Herz treffen. „Die bewegendste Liebesgeschichte unserer Zeit“ so der Slogan, mit dem das Wiener Raimundtheater das selten im deutschsprachigen Raum gespielte Musical-Meisterwerk bewirbt. Und das ist wahrlich nicht übertrieben, denn auf der Gefühlsskala geht es für das Publikum ganz klar bis zum Anschlag.
Junge Vietnamesin verliebt sich in GI zur Zeit des Vietnamkriegs 1975. Er muss zurück, sie wartet und träumt von einer gemeinsamen Zukunft. Das lang ersehnte Wiedersehen findet drei Jahre später statt – doch ihr Chris kommt nicht alleine…
Eine unerfüllte Liebe, die Hoffnung auf das große Glück, Flucht aus der Heimat, die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Menschen auf der ganzen Welt hoffen und leiden mit der jungen „Kim“. Zum 25. „Geburtstag“ hat Star-Produzent Cameron Mackintosh sein Stück tüchtig aufpoliert, Licht, Sound und der perfekte „Auftritt“ eines Helikopters lassen staunen. Geblieben sind natürlich die wunderbaren Songs von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg (der in Wien die Proben begleitete). Ein Titel („Möglich“) ist sogar hinzu gekommen. „Es ist kaum zu glauben, dass die Uraufführung von „Miss Saigon“ in London schon so lange her ist. Nichtsdestotrotz ist die tragische Liebesgeschichte von unschuldigen Menschen, die in Konflikte verwickelt werden, weltweit aktueller denn je“, so Produzent Mackintosh.
Ohne eine tolle Cast bringt natürlich die spektakulärste Inszenierung nichts! Ein internationales Star-Ensemble lassen die Macher in den Hauptrollen aufmarschieren: Oedo Kuipers als „GI Chris“, ein Top-Name seit seiner Rolle als „Mozart!“ (und erklärter Liebling des Musical-Publikums). Christian Rey Marbella, der den charismatischen „Engineer“ bereits in London und auf der englischen Tour spielte, Gino Emnes (Hauptrollen in Cats, König der Löwen, Tina-Das Musical) als Chris’ Freund.
Die anrührende und anspruchsvolle Titelrolle spielt Vanessa Heinz. Sie ist das junge Mädchen vom Land, die sexy Verführerin, die mal verliebte, mal verzweifelte „Kim“. Diese vielen Seiten ihrer Rolle meistert die gerade mal 23-Jährige mit Bravour.
Ihr Talent wurde beim Casting in Wien erkannt – von der Theaterakademie in München ging es für sie sofort in eine der ganz großen Rollen eines der berühmtesten Musicals. Wow! „Vor der Premiere war ich war sehr nervös. Aber da „Miss Saigon“ schon so oft verschoben wurde, war meine Freude dieses Stück endlich spielen zu dürfen umso größer und hat mein Lampenfieber fast komplett verdrängt“, so die zierliche Künstlerin mit der großen Stimme.
„Der Premierenabend war ein unrealistischer Moment. Wir haben alle so lange auf diesen Augenblick gewartet und es bestand bis zum Tag der Premiere aufgrund von Corona immer die Gefahr, dass alles schon wieder verschoben werden muss. Aber zum Glück konnten wir im Januar Premiere feiern und das Publikum hat uns spüren lassen, dass es sich genau so sehr freut, dieses Stück endlich auf der Bühne erleben zu können.“
„Miss Saigon“ hatte 1994 in Stuttgart Deutschland-Premiere – da war Vanessa noch gar nicht auf der Welt – und berührt bis heute die Zuschauer. Was macht die Faszination des Stücks aus?
Vanessa Heinz: „Zum einen die wunderschöne Musik von Claude-Michel Schönberg und zum anderen die immer bestehende Aktualität dieser Geschichte. Man sieht das Leben vieler verschiedener Individuen, die sich sehnlichst wünschen ein normales friedliches Leben zu führen, was aber aufgrund des Krieges schlichtweg nicht möglich ist. Ich denke das berührt viele.“
Und dann darf sie sich ja auch in den Armen von Frauenschwarm Oedo Kuipers (als Chris) sicher fühlen, der inzwischen schon ein „alter Hase“ im Musical-Business ist. „Ich bin so froh, Oedo als meinen Spielpartner zu haben. Wir verstehen uns sehr gut und immer wenn etwas für mich ganz neu ist, sorgt er mit seiner entspannten Art, dass auch ich die Ruhe bewahren kann. Einige nennen mich mittlerweile relaxed. Das habe ich definitiv von ihm abgeschaut“ verrät Vanessa.
Die starken Stimmen, die mitreißende Handlung, die opulente Ausstattung und die vielen Ohrwürmer („Sonne und Mond“, „Oh Gott, warum?“, „Die letzte Nacht der Welt“, „The American Dream“), man verfolgt gebannt die rund 2 1/2 stündige Geschichte.
Tja, und dann kommt im 2. Akt auch noch die Szene mit dem Hubschrauber: Scheinwerfer, ohrenbetäubender Rotorenlärm und ein Helikopter, der auf der Bühne landet, Soldaten, die einsteigen und wegfliegen (und der Sound fliegt mit).
Diese Szene vor der US-Botschaft zeigt die letzte Möglichkeit, das Land zu verlassen und gehört zu „Miss Saigon“ wie der herabkrachende Kronleuchter beim „Phantom der Oper.“ Oder „Baby’s“ Hebung bei „Dirty Dancing“. Oder der fliegende Teppich bei „Aladdin“. Auch dieser Bühnenmoment wurde in der Neufassung mit aller verfügbaren Technik optimiert. Das i-Tüpfelchen auf die ganze Produktion!
Am Ende verdiente standing ovations – und für die Darsteller wird’s schwierig, von der dramatischen Schlussszene zu einem Lächeln für den großen Applaus zu wechseln. So sehr sind alle in ihren Rollen „drin“. Denn sie haben über zwei Stunden gespielt und gesungen „als wär’s die letzte Show der Welt“ – um einen der Hauptsongs etwas abgewandelt zu zitieren.
Durch die coronabedingten Verschiebungen kann „Miss Saigon“ nur noch bis 25. Juni 2022 gezeigt werden. Danach stehen mit „Rebecca“ und „Der Glöckner von Notre Dame“ die nächsten Musical-Hits in den Startlöchern.
Infos: www.musicalvienna.at
Text: Gaby Hildenbrandt